Der Faire Welt e.V. Marienberg und sein kleiner
Weltladen am Markt in Marienberg, sie feiern in diesem Jahr ihren 20.
Geburtstag. Im Juni 1997 gründete sich der Verein und im
Dezember
1997 öffnete der Laden. Als wir anfingen, haben die wenigsten
unserem Faire-Welt-Projekt eine so lange Lebenszeit zugetraut. Wir, das
waren Menschen, die sich um Pastor Thomas Roscher von der
Methodistischen Gemeinde scharten. Sie ergriffen die Initiative damals,
warben um Mitstreiter und wollten erreichen, dass auch in der kleinen
Stadt Marienberg das große Thema „Gerechtigkeit in
der
Welt“ seine Fürsprache fände.
„Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine
Schritte tun, können das Gesicht der Welt
verändern.“
So stand es geschrieben im Schaufenster des Weltladens damals. Der
schloss seine Tür auf, um ein Ort zu sein, an dem sich die
Welt
trifft. Der Laden ist seitdem einmal umgezogen, hat sich verkleinert
und musste auch die Öffnungszeiten und das Sortiment
einschränken. Aber, wir haben wirtschaftlich
überlebt!
Sieht
so eine Erfolgsgeschichte aus? Ja, so sieht eine Erfolgsgeschichte aus.
Es ist nämlich eine Geschichte, in der es nicht um
Gewinnmaximierung geht, wo nicht von endlos sich hinspulendem Wachstum
geredet wird, in der nicht der Stärkere seine Taten
rühmt und nicht der Schwächere seine Niederlagen
erlebt.
In
der Erfolgsgeschichte unseres Vereins und seines Ladens wird von einer
Sehnsucht erzählt, traumgleich, der Sehnsucht nach
Gerechtigkeit.
Die Gerechtigkeit, wie sie dieser Traum meint, ist nicht nur
ein gefälliges Wort für unverbindliche
Wohlfühlromantik.
Gerechtigkeit, wie sie dieser Traum meint, ist vielmehr Ausdruck eines
sich aus der christlich verstandenen Ebenbildlichkeit Gottes des
Menschen ableitenden Gestaltungswillens des
Menschen, einem Gestaltungswillen zum Guten.
Soviel Pathos, um einen kleinen Verein und seine Ziele zu
erklären?
Ja doch, denn es geht nicht um uns und den Laden. Es geht im Grunde
tatsächlich um
etwas ganz Großes, in das unser kleines Leben aber hinein
verwoben ist. Es geht um die
Gestaltung einer Welt, in der das Miteinander der Menschen von einer
Wirklichkeit
widerstrahlt, in der Gerechtigkeit herrscht, einer Welt, in der die
Menschen sich einander
mitfühlend begegnen, einer Welt, in der die Menschen acht
haben aufeinander.
So wichtig ist uns dies, dass religiöses Gemüt hier
sogar Gott bemüht, es zu begründen.
Auch Nichtchristen spüren und verstehen die Wucht einer
Metapher, die Gott und Mensch
als sich bedingend schildert, um aus dieser Erhöhung des
Menschen heraus moralisch die
Forderung abzuleiten, dass das Handeln des Menschen nun also auch gut
sein müsse
oder doch wenigstens gerecht.
Gerechtigkeit, das wird hier deutlich,
ist kein Begriff, der etwas Objektives, also einen vom Menschen
unabhängigen Zustand
beschreibt.
Gerechtigkeit ist vielmehr ein Kulturbegriff, das heißt,
seine Bedeutung und Gültigkeit
rechtfertigt sich einzig aus der Tatsache, dass der Mensch ihn erfunden
hat, um wertend
sein Handeln und die Auswirkungen seines Handelns beurteilen zu
können.
Was gerecht ist oder ungerecht, wird durch kein Naturgesetz festgelegt,
sondern das
bestimmt der
Mensch selbst und also betrifft Gerechtigkeit auch nur den Menschen
selbst und hat nur
für ihn Bedeutung und ist nur für ihn eine
Art Ansprache des Schicksals und Wegweiser
durch die Zeit.
Das heißt aber auch, wir können uns
auf keine hohe Autorität, und sei es Gott, berufen, um klären zu lassen, was gerecht ist und was
ungerecht. Das müssen wir als Menschen selbst herausfinden.
Wir können uns nur als
Christen, von Gott her aufgefordert fühlen, dafür zu
sorgen, dass das
Projekt Gerechtigkeit in der Welt auf die Tagesordnung unseres Lebens
und Denkens gelangt und wir uns
Mühe geben damit.
Und genau dazu sind unser Verein und sein
kleiner Laden da, seit nunmehr 20
Jahren. Wir wollen helfen, aus der Selbstgenügsamkeit eines
Lebens
herauszufinden, in dem gilt:
„Ich jetzt und nach mir die
Sintflut, koste es die Welt.“
Denn inzwischen kostet es tatsächlich die Welt. So viele
Menschen aus Afrika und den
Kriegsgebieten dieser Erde, sie kommen als Flüchtlinge
über die Meere und durch die
Wüsten zu uns und kein rechtes Gelärm wird sie
aufhalten, es sei denn, wir machen uns
schuldig damit vor uns selbst und vor Gott und müssen uns
schämen dafür.
Wie kann man ernsthaft glauben, wir hätten ein Recht darauf, sozusagen es
gäbe eine Art
Menschenrecht der Deutschen, dass es uns gut zu gehen habe, wo es dem
Rest der Welt
doch schlecht geht?
Ist unser Leben so viel bedeutender und leisten wir
so viel mehr, wie es uns besser geht, als jener Frau, die unter der Sonne Afrikas
stundenlang Wasser und Holz auf ihrem Kopf trägt, damit sie etwas kochen kann?
Schließlich bleibt dieser Frau nichts anderes übrig und sie segnet ihre Kinder, wenn die sich
aufmachen in unser Land, wo Milch und Honig fließen und das Leben gut tut. Haben wir
wirklich die Kälte des Herzens jetzt zu sagen: „Bleibt, wo der Pfeffer
wächst!“?
Und schon sind wir mittendrin im Schlamassel des Projektes
Gerechtigkeit. Wir müssen
klären, was uns Gerechtigkeit bedeutet und was uns
Gerechtigkeit wert ist, dass wir bereit
wären, dafür etwas zu riskieren und gegebenenfalls
auch Opfer zu bringen.
Immer nämlich geht es dabei um einzelne und ganz konkrete Menschen. Wir, auch hier in
Marienberg, sind schicksalhaft hinein verstrickt mit unserem Leben in die vielen
Leben auf der anderen Seite der Welt.
Irgendwo auf der Erde gibt es immer einen Menschen, der
in guter oder unguter Weise betroffen ist davon, was ich gerade tue oder entscheide,
dass es getan werden soll.
„Unsere menschlichen Gesellschaften sind
hochgradig differenziert und weltweit vernetzt“, sagt kühl dazu der Fachmann. Er
nennt es Globalisierung. Und in besonderer Weise tritt diese Vernetzung zutage in der Art, wie wir hier
kaufen und konsumieren. Beim Gang durch die Angebote in unseren
Geschäften haben wir uns angewöhnt, nach dem größtmöglichen
Erfolg einer Geldinvestition in eine angebotene Ware zu fragen, nicht aber danach, welche Wirkung mein Erwerb und
Gebrauch der Ware darüber hinaus noch hervorbringt.
Wir kaufen z. B. das neue
Gerät, weil wir das Geld dazu haben und glauben, es kaufen zu müssen, ohne gleichzeitig
darüber nachzudenken, was dieser Kauf bei den Menschen anrichtet, die in den Bergwerken des Kongo
das dafür benötigte Rohmaterial aus der Erde holen müssen.
Unter Umständen bedeutet unser Kauf einer Ware hier Zerstörung, Leid und die Verhinderung
selbstbestimmten Lebens dort, irgendwo auf der Welt. Ist es so, dann ist dies als ungerecht zu
benennen, unfair und für uns selbst würden wir solche Auswirkungen fremden Verhaltens
auf unsere eigene Lebenssituation mit großer Entrüstung
zurückweisen.
Mit großer Entrüstung zurückweisen? Das tun
wir nun, aber wenn wir ehrlich sind, so
richtig nur, weil die Globalisierung zurückschlägt,
jetzt auf uns selbst, so dass wir ihr nicht
mehr ausweichen können, den Flüchtlingen etwa und
ihren Ansprüchen, an unserem
geborgten Wohlstand teilhaben zu wollen.
Jetzt entdecken wir, dass auch
auf uns wirkt, was Menschen irgendwo auf der Erde tun oder nicht tun. Jetzt werden wir
zornig und protestieren mit Pegida in die falsche Richtung. Dieser Protest aber
offenbart nur ein weiteres Merkmal von Ungerechtigkeit, die Tatsache nämlich,
dass wir bei der Wertschätzung der Auswirkungen menschlichen Handelns mit
zweierlei Maß messen.
Wir, die wir uns das gute Leben hier schon immer geleistet haben, wollen
weiter in der ersten
Reihe stehen, wir zuerst und die da in Afrika irgendwann, wir
groß und die da in Asien
klein!
Das ist sicherlich nicht nur dumpfem Egoismus geschuldet, sondern auch
der Tatsache,
dass die Globalisierung uns mit ihrer Komplexität erfolgreich
zu verschleiern weiß, dass es
neben den Strukturen und technischen Systemen vor allen Dingen und
immer und ewig
um Menschen geht, um ganz konkrete und einzelne Menschen geht.
Ja, das Projekt Gerechtigkeit ist ein Menschheitsprojekt und seine
Bewältigung wird
drängender und drängender. Denn unser Wohlstand hier
und die Bedrückung dort, unsere
Abwehr hier und das Aufstehen dort, sie führen Krieg
gegeneinander und wie in jedem
Krieg kann die Menschheit dabei nur verlieren.
Eine zerrissene Welt ist eine lebensgefährliche Welt! Auch wir
hier in Marienberg sind in
diesen Konflikt hinein verstrickt.
Auch wir hier in
Marienberg tragen unseren Anteil an Mitverantwortung für das Wohl und Wehe von Menschen auf der
anderen Seite der Welt.
Der Faire Welt e.V. Marienberg und sein kleiner Laden wollen deshalb
mithelfen, dass wir
begriffen und mit dem Herzen verstünden, wie wir alle doch nur
Menschen der Einen Welt
sind.
Gemeinsam sitzen und rudern wir in einem schwankenden Boot auf
der Reise durch
die Zeit. Haben wir acht, dass dieses Boot nicht umstürzt,
weil die Wellen aus
Ungerechtigkeit über uns zusammenschlagen oder schlimmer noch,
wir aus Herzlosigkeit
und Hass gar selbst erst Löcher in den Kiel bohren.
Unsere
Menschlichkeit, im guten Sinne des Wortes, sie steht weltweit auf dem Spiel.
Die Mitglieder des Vereins und die Helfer im Laden, sie sind dankbar
für die uns und
unserer Arbeit all die Jahre hindurch entgegengebrachte
Wertschätzung so vieler
Menschen in unserer Stadt.
Wir freuen uns und danken all denen, die in
Treue den Laden besuchen und so das Anliegen des Fairen Handels unterstützen.
Die Lebensinteressen der um Gerechtigkeit ringenden Menschen auf der anderen Seite der Welt,
sie sind die Geschäftsinteressen des Fairen Handels und unseres Ladens.
Nur darum geht es!
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